Wertschätzung ist keine Verhandlungsmasse – über das Ende einer 15-jährigen Kundenbeziehung
- Ahmet Cetiner
- 15. Mai
- 3 Min. Lesezeit

Es begann im Winter 2009. Ich hatte gerade mein Unternehmen gegründet – ein Kurier- und Expressdienstleister mit Sitz in Frankfurt am Main. Frisch auf dem Markt, null Kapital, aber mit viel Idealismus, Netzwerken, selbst entwickelter Software und dem unbedingten Willen, etwas aufzubauen.
Einer meiner ersten Kunden war eine Abteilung eines großen, weltweit operierenden Automobilkonzerns. Ich kannte den Ansprechpartner noch aus einem früheren Job – damals verstanden wir uns gut. Anfangs belächelte er meine Selbstständigkeit, später rief er dann doch an: „Lass es uns mal testen.“
Und es lief. Täglich verschickten wir Fahrzeugbriefe an Autohäuser im gesamten Bundesgebiet – 10, 20, manchmal 30 Sendungen pro Tag. Der Kunde bekam Rabatte – große Rabatte. Bis zu 70 oder 80 Prozent auf unsere damaligen Verkaufspreise. Weil er Volumen brachte. Weil wir ebenfalls bei unseren Partnern Einkaufsvorteile geltend machen konnten. Alles schriftlich, alles nachvollziehbar.
Doch über die Jahre veränderte sich etwas. Das Sendungsvolumen schrumpfte – dramatisch. Heute reden wir von ein bis zwei Sendungen am Tag. Die Rabatte blieben. Die wirtschaftliche Grundlage – nicht.
Ich habe trotzdem lange stillgehalten. Keine Preisanpassungen. Keine Nachverhandlungen. Immer wieder:
„Wenn du die Preise erhöhst, verlieren wir den Kunden.“
„Ich verliere meinen Job, wenn ich mehr zahle.“
Und ich habe mich gefügt. Jahrelang. Bis heute.
Der Bruch
Vor wenigen Tagen kam eine E-Mail. 44 Sendungen, Excel-Tabelle, spontane Anfrage:
„Gebt mir einen besseren Preis als den, den wir ohnehin schon rabattiert haben. Sonst verschicke ich sie per Einschreiben mit der Post. Das ist billiger. Aber wenn ihr wollt, tue ich euch was Gutes.“
So war der Ton. Gönnerhaft. Herablassend.
Wir kalkulierten, baten unsere Partner um Unterstützung, erhielten bessere Einkaufskonditionen, gaben den Preis weiter. Wir erfassten alle 44 Sendungen im System – etwa zwei Stunden Arbeitsaufwand.
Dann rief er an:
„Da sind Doppelungen. Drei Empfänger in einem Unternehmen – ich mache aus drei Sendungen eine. Geht das?“
Klar, sagten wir.
Am Ende stornierte er acht Sendungen.
Ich sagte: „Dann kann ich den Rabatt so nicht halten. Der Preis muss pro Sendung um zwei bis drei Euro steigen.“
Die Antwort:
„Ich schenke euch seit Jahren Geld. Und jetzt das? Ich beende die Zusammenarbeit.“
Er legte auf. Und damit endete eine 15-jährige Beziehung.
Was zurückbleibt
Wut. Enttäuschung. Und vor allem: der Wunsch, dieses System nicht länger mitzutragen.
Wir schreiben das Jahr 2025.
Wir zahlen Tarife über Mindestlöhne.
Wir halten uns an Lieferkettengesetze.
Wir investieren in Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Infrastruktur, Elektromobilität, Menschen.
Wir arbeiten. Jeden Tag. Mit Sorgfalt, mit Verantwortung, mit Haltung.
Und dann kommt jemand daher, der glaubt, unser Preis sei verhandelbar, unsere Leistung selbstverständlich, unsere Existenz nebensächlich. Der nicht fragt: „Könnt ihr euch das leisten?“, sondern droht: „Wenn ihr nicht mitmacht, seid ihr raus.“
Die Branche selbst ist Teil des Problems
Ich weiß, dass dieser Beitrag gelesen wird. Auch von Mitbewerbern. Vielleicht sogar von denen, die sich jetzt die Hände reiben. Mein Unternehmen sitzt in Frankfurt – der Markt ist klein, die Szene überschaubar.
Ich kann mir gut vorstellen, wie manche jetzt denken:
„Endlich ist er raus. Jetzt übernehmen wir das. Jetzt geben wir einen Superpreis und holen uns den Kunden.“
Aber das ist genau der Punkt.
Solange wir uns in dieser Branche wie Aasgeier auf Kundenbeziehungen stürzen, die andere über Jahre gepflegt und getragen haben, solange wir den Preis als einzigen Hebel sehen – dann machen wir uns selbst kaputt. Dann sorgen wir selbst dafür, dass unsere Arbeit immer weniger wert ist. Dann zerstören wir die Grundlage jeder echten Partnerschaft: Vertrauen.
Wir können nicht über Wertschätzung reden, wenn wir uns gegenseitig keine geben.
Wertschätzung beginnt bei uns selbst.
Mein Fazit
Ich habe beschlossen, dass ich so nicht mehr arbeiten will. Ich will nicht mehr Kunden um jeden Preis. Ich will Partner auf Augenhöhe.
Ja – dieser Kunde war groß. Und sichtbar. Und lukrativ, zumindest auf dem Papier. Aber wenn ein Kunde nicht versteht, dass auch wir Verpflichtungen haben – gegenüber unseren Mitarbeitern, unseren Partnern, unseren Werten –, dann ist es kein Verlust, ihn zu verlieren. Dann ist es Befreiung.
Ich hoffe, dass dieser Beitrag nicht nur als Abrechnung gelesen wird. Sondern als Einladung. Zur Reflexion. Zur Veränderung. Zu mehr Haltung in einer Branche, die genau das dringend braucht.
Vielleicht ist das der Preis, den man zahlt, wenn man beginnt, sich selbst ernst zu nehmen.
Aber vielleicht ist es auch der Anfang von etwas, das endlich wieder Sinn ergibt.
Kommentare